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Boris Nieswand
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Veröffentlicht Jan 27, 2021
Online-First-Veröffentlichung Jan 19, 2021

Abstract

Der Artikel entwickelt in einem ersten Schritt ein Begriffsrepertoire zur Analyse der moralischen Dimension migrationsgesellschaftlicher Diskurse. In diesem Kontext wird argumentiert, dass in sozialwissenschaftlichem Wissen enthaltene moralische Bewertungen sich graduell, aber nicht fundamental von anderen Formen der Moralisierung unterscheiden. In einem zweiten Schritt wird der Diskurs des Integrationismus innerhalb eines moralsoziologischen Rahmens analysiert. Als moralisch-politische Rechtfertigungsordnung entfaltet der Integrationismus seine Wirkung insbesondere dadurch, dass er die Grenzen zwischen Alltagsleben, Politik und Sozialwissenschaften überspannt. In der Analyse integrationistischer Diskurse und Praktiken in Baden-Württemberg zeigen sich vor allem vier Merkmale. Der Integrationismus (a) legitimiert Personalisierungen und Essentialisierungen von moralischen Urteilen über Migrant*innen, (b) schreibt einerseits Machtunterschiede zwischen Eingesessenen und Zugewanderten fest und fordert sie andererseits heraus, (c) vermittelt zwischen konkreten Ereignissen und allgemeinen moralischen Schlussfolgerungen und (d) erlaubt im Kontext migrationspolitischer Debatten ein Changieren zwischen Rationalisierung und Emotionalisierung.


Towards a Moral Sociology of Migration


The article proposes an analytical framework for studying and theorizing the moral dimension of representations of migrants and migrations. It is argued that social science knowledge contains moral ideas that differ gradually but not fundamentally from other forms of moralization. In a further step, the article develops the notion of integrationism and analyses it within the proposed analytical framework. As a moral-political order of justification, integrationism unfolds its efficacy by spanning the boundaries between everyday life, politics and the social sciences. The empirical analysis of integrationism in Baden-Württemberg demonstrates that it (a) practically legitimizes personalizations and essentializations of moral judgements about migrants, (b) allows both for reinforcing power imbalances between residents and migrant newcomers and for challenging them, (c) provides an interpretative device for the generalization of moral conclusions drawn from specific events, and (d) oscillates between rationalization and emotionalization.

Schlagwörter

Moral, Integrationismus, Rechtfertigungsordnungen, moral hypergood, reflexive Migrationsforschung